Auch wenn die Ernährung und die Produktion von Lebensmitteln weniger Treibhausgase verursacht als Mobilität oder die Bereitstellung von Energie und Wärme, kann bewusster Konsum im Nahrungsmittelbereich einen großen Beitrag zur Reduzierung von Treibhausgasemissionen und vor allem zur Artenvielfalt leisten.
Mit diesem Hintergrund hatten wir im fünften der Teil der Reihe #100minutenZukunft neben Sigrid Stagl auch Bäuerin Margit Kitzweger-Gall eingeladen (49:30 min). Sie betreibt zusammen mit ihrem Mann den gemeinsamen Hof – hauptsächlich Feldwirtschaft mit 100 Hühnern für die Direktvermarktung. Die Direktvermarktung stellt ein wichtiges Standbein dar – „Erdäpfel und Eier sind schon immer am Hof verkauft worden“, so Kitzweger-Gall. Neben der Direktvermarktung nimmt sie am Programm „Schule am Bauernhof“ teil, bietet Seminare zu landwirtschaftlichen Abläufen an und ist Gebietsbäuerin für Schwechat beim Verein „Die Bäuerinnen Niederösterreich“.
Wenn der Bauer nicht wär‘ blieb das Körbl leer!
Im Kontext von Konsum berichtet sie, wie sich auf Grund der Pandemie die Einkaufsgewohnheiten verändert haben. Die Direktvermarktung sei um 41% angestiegen (Zahlen für Niederösterreich). Zahlreiche neue Hofläden, Online Shops mit Lieferservice und Selbstbedienungsstände haben sich etabliert. Einen schnellen Überblick erlangt man z.B. über https://www.kost-bares.at/.
Gerade im Bezug zu Klimawandel und Nachhaltigkeit stellt Kitzweger-Gall fest, dass die wesentlichen Fragestellungen jene nach Regionalität und Saisonalität sind, was sie anhand des Erdapfels als Beispiel anbringt (56 min): Obwohl die Lager der Bäuerinnen und Bauern voll sind mit Erdäpfeln, die von vielen Restaurants in der Zeit der Pandemie nicht abgenommen werden konnten, bietet der Lebensmittelhandel Erdäpfel (Heurige) aus Ägypten an. Hier fehlt das Bewusstsein für saisonale Lebensmittel bei den Konsument:innen, so Kitzweger-Gall. Daher ruft sie und ihre Kolleg:innen auf, sich zu informieren. Das ist zum Beispiel möglich bei der Landwirtschaftskammer https://www.verlassdidrauf.at/ und bei den Kochseminaren der https://www.baeuerinnen-noe.at/ oder auch auf https://www.esserwissen.at/. „Viele Leute haben heute schon verlernt, auf den Geschmack und den Geruch zu achten“, meint Kitzweger-Gall um die Haltbarkeit von Lebensmitteln einzuschätzen.
Um also nachhaltiges Konsumverhalten zu verankern, plädiert sie für eine Vernetzung des Handels mit den Produzent:innen, die Schaffung eines Bewusstseins für die Herkunft und die Wertschätzung von heimischen Lebensmitteln und eine kritischere Einstellung der Konsument:innen: niedrige Preise haben oft einen Haken und sind oftmals Lockangebote.
Community-supported agriculture (nicht nur) in den USA
Ein ähnliches Bild hatte auch Sigrid Stagl in ihrem Fallbeispiel aufgezeigt, das wir in diesem Zusammenhang noch erwähnen möchten (10:40 min). Haben sich die Konsumpräferenzen während der Pandemie in Niederösterreich doch stark geändert, stellt Stagl fest, dass im allgemeinen wirtschaftlichen Modell der Ökonom:innen Präferenzänderungen der Konsument:innen selbst nur wenig oder überhaupt nicht beachtet werden. Nur der Preis spielt eine Rolle und die Präferenzen stellen nur die äußeren Rahmenbedingungen dar. Diese Vorstellung passte allerdings nicht zu den Beobachtungen während ihrer Doktorarbeit zum Thema der sogenannten „community-supported agriculture“ – Menschen kaufen Anteile an der Ernte eines landwirtschaftlichen Betriebes für ein Jahr und verpflichten sich, diese Abzunehmen. Ein ähnliches Modell wird in unserer Region z.B. in Moosbrunn umgesetzt (https://www.ouvertura.at/). Die Menschen nehmen also direkt am Markt teil und es zeigte sich in dieser Studie, dass der Markt sehr wohl die Präferenzen der Konsument:innen langfristig verändert.
Im Sinne der „community-supported agriculture“ produzierten die Bauern und Bäuerinnen sehr divers, für einen regionalen Markt und biologisch – gut für die Biodiversität und das Klima. Auch wenn es manchmal Beschwerden über das „viele Obst und Gemüse“ gab, das es zu verbrauchen galt, „kaum ist das Formular gekommen, um sich wieder einzutragen, haben alle sofort wieder unterschrieben [für das nächste Jahr]“. Eine Erklärung dafür findet man bei den Neurowissenschaften: Kurzfristig gedacht mittels des primitiven Gehirns wünschen wir uns einen einfachen Zugang zu energiereichen Nahrungsmitteln, aber langfristig gedacht wissen wir sehr wohl was uns guttut.
Die guten Erfahrungen mit frischen, biologisch produzierten Produkten, mit einer wachsenden Gemeinschaft innerhalb dieses Systems und die langfristige Teilnahme an diesem System bzw. Markt hatte nachweisbar die Ansichten hin zu regionaler, biologischer Produktion geändert. Dies ist natürlich nicht auf alle Lebensbereiche anwendbar, zeigt aber, wie sich ein wirtschaftliches System und die Präferenzen langfristig und gezielt zu nachhaltigen Praktiken ändern lassen könnten.
Aufzeigen der Problemstellungen
Als dritter Diskussionsteilnehmer möchte Simon Pories von den Fridays for Future Austria auf die Probleme hinweisen, auf die man trifft, wenn man sich nachhaltig und regional ernähren möchte (1:05:00 min). Seiner Meinung nach mangelt es weder am Wissen der Konsument:innen um die Sinnhaftigkeit vom Konsum regionaler Lebensmittel, noch an der Demonstration, wie einfach nachhaltiger Konsum sei. Eher das Gegenteil ist der Fall, denn als Schüler muss er mehr Geld für gesündere Lebensmittel ausgeben, während ungesunder, nicht nachhaltiger Konsum ohne artgerechte Haltung viel günstiger ist. Es mangelt an geeigneten Rahmenbedingungen, wie z.B einer ökosozialen Steuerreform, die dann regionalen, klimafreundlichen Konsum belohnt, so Pories. Er spricht sich gegen rückschrittliche, klimaschädliche Maßnahmen wie zusätzliche Autobahnen oder Flächenversiegelung aus. Hier kann die Politik zahlreiche Maßnahmen setzen, um Anreize zu schaffen. Pories meint, dass nicht die Individuen alleine, sondern wir alle zusammen inkl. der Politik uns gegen den Klimawandel einsetzen müssen.
Referenzen
Sigrid Stagl, Dissertation